Das Märchen von den
Tierrechten
I. Grundannahmen:
Stellen Sie sich einmal vor, Sie
säßen mit einem – durchaus sympathischen – Affen am Tisch und sind im Besitz
eines Kuchens. Der Affe hat, wie Sie selbst, Hunger und will an den Kuchen. (=
„Leidensfähigkeit“/ „Leiden“/ „Bedürfnis“ sowie „Interessen“ sind also
vorhanden.) Der Affe, ansichtig der Tatsache, dass Sie nun körperlich etwas
schwächer sind, überlegt nicht lange, greift zu und schnappt sich den Kuchen.
Nun befragen Sie die beiden Gründungsgestalten der Tierrechtslehre, Peter Singer
und Tom Regan, wie denn der Sachverhalt zu bewerten sei?
Die Antwort von Peter Singer:
„Aus dem Vorhandensein von Leidensfähigkeit und Bedürfnis ergibt sich, dass das
Interesse des Affen berücksichtigt werden muss. Allerdings muss ein Ausgleich
der Interessen stattfinden.“ (Tierrechtsargument –präferenzutilitaristische
Variante.) Also hätten Sie teilen müssen.
Falls Sie nun jedoch einwenden,
dass der Affe in Wirklichkeit einfach den Kuchen geschnappt und dabei weder
vorher gefragt, noch mit Ihnen geteilt habe, sowie außerdem offenbar nicht
einmal die Bedingung der Möglichkeit einer gleichwertigen moralischen Auffassung
besitze, da er nun einmal ein Affe sei, erhalten Sie die Antwort: „Moralische
Kompetenz zählt nicht, nur Interessen und Bedürfnisse definieren den moralischen
Status.“ Außerdem werden Sie beschuldigt, eine Rassismus-artige Moral zu
vertreten.
Hierauf würden Sie vermutlich antworten: „Ja, Moment mal! So kann das aber nicht
sein!“ Und zwar mit Recht!
Die Antwort von Tom Regan
wäre die folgende: „Aus dem Vorhandensein von Leiden, Bedürfnis und Interessen
ergibt sich, dass das Interesse des Affen berücksichtigt werden muss. Die
Interessen des Affen enden auch nicht an Ihren eigenen Interessen“
(Tierrechtsargument deontologische Variante.) Also hätte der Affe nicht einmal
teilen müssen, sondern solange fressen dürfen, bis sein Bedürfnis befriedigt
gewesen wäre. Allerdings hätten Sie ebenfalls nicht zu teilen brauchen (falls
Sie denn tatsächlich gegen den Affen eine Chance gehabt hätten.)
Falls Sie nun wiederum einwenden,
dass der Affe hätte teilen oder zumindest vorher fragen müssen, er sich aber in
Wirklichkeit einfach den ganzen Kuchen geschnappt habe und offenbar nicht einmal
die Bedingung der Möglichkeit einer gleichwertigen, moralischen Auffassung
besitzen würde, da er nun einmal ein Affe sei, erhalten Sie auch hier die
Entgegnung: „Ob man selbst Moral besitzt oder nicht, zählt nicht, nur die
Interessen und Bedürfnisse definieren den moralischen Status.“ Außerdem werden
Sie auch bei Regan einer besonders fiesen, Rassismus-gleichen Moral beschuldigt.
Auch auf diese Auskunft würden Sie
vermutlich antworten: „Ja, Moment mal. So kann das doch wirklich nicht sein!“
Und zwar mit Recht!
II. Grundrechte:
Anderntags sind nicht Sie, sondern
der Affe im Besitz eines Kuchens. Sie selbst, wie auch der Affe, haben Hunger
und würden gerne ein Stück vom Kuchen abbekommen. (= „Leidensfähigkeit“,
„Leiden“, „Bedürfnis“ und „Interesse“ sind also vorhanden.) Befragen wir nun
erneut Peter Singer und Tom Regan nach der Beurteilung des Sachverhalts.
Peter Singer: „Warum sollte
der Affe denn nicht – genauso wie Sie – Grundrechte besitzen? Der Affe hat ein
Grundrecht auf Eigentum. Allerdings kann auch ein Grundrecht Gegenstand von
Abwägungsentscheidungen sein.“ (Grundrechte für Tiere –
präferenzutilitaristische Variante.) Sie dürften das Grundrecht des Affen also
in Frage stellen, sofern Sie selbst kurz vor dem Verhungern wären.
Wenn Sie nun darauf verweisen, der
Affe habe Ihnen erst gestern den Kuchen, ohne zu fragen, abgenommen, was daran
zweifeln ließe, dass dieser fähig sei, Ihnen, sofern Sie tatsächlich kurz vor
dem Verhungern wären, auch tatsächlich etwas abzugeben und dies offenbar darauf
zurückzuführen sei, dass er nicht einmal die Bedingung der Möglichkeit besäße,
ein Recht auch einzuhalten, erhalten Sie die Entgegnung: „Das Ihr Gegenüber ein
Recht nicht einhalten kann, ist kein Grund, dass dieses keines besitzen soll.“
(1) Auch in diesem Fall würden Sie sagen: „Moment mal, so machen wir das aber
nicht!“ Und zwar mit Recht!
Würden Sie nun statt Peter Singer
Tierrechtler Tom Regan fragen, dürften Sie das Grundrecht des Affen übrigens
selbst dann nicht in Frage stellen, wenn Sie kurz vor dem Verhungern stünden!
Sofern es um Affen und Kuchen
geht, kann man die Tierrechtslehre als unterhaltsamen Unfug beiseite legen. Der
Ethiker Joseph Margolis schrieb 1974: „Ich muss zugeben, als ich Singers
Beiträge zum ersten Mal las, hatte ich den Eindruck, dass es eine Art Scherz
sei, der die Menschen dazu ermutigen sollte, netter zueinander zu sein, oder
dass es einfach Quatsch ist (…).“ (2) Geht es allerdings darum, worauf der
Mensch die Grundüberzeugungen seines Handelns aufbauen soll, so sind Leben und
Tod im Spiel. Damit hört der Spaß dann definitiv auf!
Eigentlich zeigt das simple
Beispiel, dass die Idee eines rechtlichen Status von Tieren völlig absurd ist.
Erstaunlicherweise ist sie sogar dermaßen absurd, dass schon die Intuition
hinreichend überzeugend ist, die Idee ad acta zu legen. Und das gelingt nicht
vielen Ideen! Wie soll eine Philosophie, die versucht, dem Leser den Beweis
abzunötigen, dass das Leben eines dreijährigen Kindes wertvoller als das Leben
eines Schweines ist, auch zu irgendetwas Gutem führen? Wer klaren Verstandes
ist, hat doch nicht einmal Lust, dafür den Beweis anzutreten!
Wie ist es – in Bezug auf das Beispiel – richtig?
Natürlich würden Sie dem Affen
etwas vom Kuchen abgeben. Sofern man Sie fragen würde, warum Sie das taten,
würden Sie sagen: „Ha, er sah so hungrig aus!“ („Bedürfnis und Interesse“ waren
also nicht mehr als Anlass/ Ausgangspunkt des Handelns.) Würde man fragen, ob
der Affe einen Anspruch, Recht oder Ähnliches besaß, so würden Sie sagen: „Was
meinen Sie mit Anspruch? Ja, einen ‚Anspruch‘ hatte er nicht gerade…“ (kein
Naturrecht). Und auf die Frage, warum Sie es trotzdem taten, wenn er doch keinen
Anspruch hatte, würden Sie sagen: „Hach, so bin ich halt!“ (= Wunsch,
tugendgemäß zu handeln, als Grund).
PS.: Und würde sich der Affe den
Kuchen greifen, würden Sie sagen: „Na Du Schlingel, hast Du Dir einfach den
Kuchen geschnappt!“
Dr. Bernhard Eisel (Juni 2018)
(1) Außerdem würde Ihnen übrigens
vorgehalten, dass Sie doch auch Kleinkindern und Behinderten ein Recht
zugestanden hätten, was Sie nicht hätten tun dürfen, sofern Sie nicht auch dazu
bereit seien, dem Affen dasselbe Recht zuzugestehen. Sofern Sie dann darauf
verweisen würden, dass Sie, sofern Sie die Wahl hätten, einen Vertrag, entweder
mit jemandem, der diesen mit einer, wenn auch recht geringen Wahrscheinlichkeit
einhalten wird, oder mit jemandem, der diesen nicht einmal mit der geringsten
Wahrscheinlichkeit, sondern nur rein zufällig einhalten würde, abzuschließen,
Sie den Vertrag doch immer noch lieber mit jemandem, der diesen mit einer wenn
auch recht geringen Wahrscheinlichkeit einhalten wird, abschließen würden, so
würde dieser Einwand nicht ernst genommen!
(2) Margolis, Joseph: Animals have
no rights and are not the equal of humans, Philosophic Exchange, I, 5, 1974,
119–123. |